Gefragt: Servicekompetenz und Organisationstalent

Beste Voraussetzungen schaffen für produktive Prozesse: Dazu gehören auch Aufbau und Inbetriebnahme der Bearbeitungszentren durch den CHIRON Group Service. Zum Beispiel am neuen Produktionsstandort des Medizintechnikkonzerns Smith & Nephew in Penang, Malaysia, wo Anfang 2023 auf 250.000 Quadratmetern die Präzisionsfertigung von Knie- und Hüftprothesen beginnen soll. Damit das auch in Zeiten von COVID-19 gelingt, muss einiges mehr als üblich in Bewegung gesetzt werden.

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Anfang 2023 soll die gesamte Produktion bei Smith & Nephew Operations Sdn Bhd starten. Klingt machbar. Ist jedoch für alle Beteiligten am Turnkey-Projekt der CHIRON Group unter Pandemiebedingungen eine logistische und organisatorische Herausforderung: Bau von 15 Maschinen in der CHIRON Group Precision Factory in Neuhausen. Projektintegration in der Applikation in Tuttlingen oder, nach 5-wöchigem Seetransport, bei CHIRON America in Charlotte. Jeweils Verschiffung der Bearbeitungszentren in Deutschland und Amerika mit Ziel Penang Pulau Pinang. Vor Ort Installation und Inbetriebnahme, Maschinenabnahme durch den Kunden, Validierung, Schulung. Soweit, so üblich. Plus: pandemiebedingte Verzögerungen beim Transport von Menschen und Material, Abwickeln umfangreicher und zeitraubender Zoll- und Visaformalitäten und, für die wechselnden Serviceteams aus Deutschland und den USA, jeweils 14 Tage Einreisequarantäne bei jedem neuen Einsatz.

Beste Unterstützung durch Amy und John
Ob persönlicher Besuch beim Generalkonsulat von Malaysia in Frankfurt, das Anfordern, Ausfüllen und rechtzeitige Absenden diverser Formulare für die Arbeitsvisa: Die beiden Servicetechniker Marco Wagner und Thomas Schöpf, die als erste nach Penang reisten, hatten mit Amy Kozina, Human Resources Manager bei CHIRON America, ein echtes Organisationstalent an ihrer Seite. Sie koordinierte den ganzen »Papierkram«, informierte über anstehende Termine und wird auch künftig bis zum Projektende für die Teams aus USA und Deutschland im Hintergrund alles Wichtige auf den Weg bringen.

Vor Ort konnte mit Hock Leong Ch`ng oder kurz und international »John« ein neues Teammitglied für den CHIRON Group Service gewonnen werden. Er ist seit 1. Oktober erster Ansprechpartner für Smith & Nephew, wird bei allen anstehenden Schritten bis zum Produktionsstart unterstützen und danach den Support der Fertigungslinien übernehmen. Der neue Servicetechniker ist, so Frank Geiselhart, Leiter Global Service, CHIRON Group, »der erste Servicemitarbeiter für den Standort Malaysia. Der asiatisch-pazifische Markt für Medizintechnik wächst rasant, mehr und mehr internationale Unternehmen bauen wie Smith & Nephew hier eine eigene Fertigung auf und benötigen kompetenten, schnellen Support vor Ort.«

HoloLens im Hotel statt Aus- und Anpacken
Auspacken und Einbringen der Maschinen: So beginnt für den CHIRON Group Service jede Neuinstallation. Nicht so bei Smith & Nephew Operations. Die Spezialisten aus Tuttlingen saßen Anfang September rund 300 Kilometer entfernt in Kuala Lumpur in Einreisequarantäne im Hotel. Waren jedoch mit HoloLens und Laptop bestens vorbereitet und konnten remote Tipps und Hilfestellung geben.

Erfolgreich, wie ihnen Projektleiter Gjvat Kosumi bei ihrem ersten Arbeitstag am hochmodernen neuen Standort in Penang zeigte: Die beiden Bearbeitungszentren CHIRON FZ 12 S five axis standen in der großen, noch weitgehend leeren Halle genau richtig. Gjevat Kosumi kommt von der Schweizer Smith & Nephew Manufacturing AG in Aarau, wo jährlich über 300.000 Hüft- und Knieimplantate gefertigt werden. Er soll die Produktion der Femurkomponenten für die künstlichen Kniegelenke in Malaysia aufbauen – mit den beiden Bearbeitungszentren aus der Applikation in Tuttlingen sowie weiteren Anlagen anderer Hersteller zum Schleifen und Polieren.

 Auch die Inbetriebnahme lief in enger Zusammenarbeit mit Projektleitung und den Maschineneinrichtern Sam und Kumar von Smith & Nephew reibungslos und war, so Thomas Schöpf, »reine Routine«.

»Aus meiner Sicht war das eins der schwierigsten Projekte in der Geschichte von Smith & Nephew, unter denkbar ungünstigen Umständen für alle Beteiligten. Dank hervorragender Zusammenarbeit mit unseren Projektpartnern sind wir, Stand heute, trotz aller Widrigkeiten ohne nennenswerten Verzug zum Projektplan.«
Stefan Greuter
Director Advanced Manufacturing Engineering – Europe, Smith & Nephew
1.) Viel Platz für hochpräzises Fertigen unter besten Bedingungen: eine der Produktionshallen bei Smith & Nephew in Penang
1.) Viel Platz für hochpräzises Fertigen unter besten Bedingungen: eine der Produktionshallen bei Smith & Nephew in Penang
2.) Zwei von insgesamt 15 Bearbeitungszentren der CHIRON Group sind betriebsbereit.
2.) Zwei von insgesamt 15 Bearbeitungszentren der CHIRON Group sind betriebsbereit.
3.) Ein gutes Team: Marco Wagner, Jason Stombaugh, John und Thomas Schöpf legen letzte Hand an die FZ 12 S five axis.
3.) Ein gutes Team: Marco Wagner, Jason Stombaugh, John und Thomas Schöpf legen letzte Hand an die FZ 12 S five axis.
4.) Die Kollegen aus Tuttlingen sind bereit für die Auslieferung der nächsten Maschinen.
4.) Die Kollegen aus Tuttlingen sind bereit für die Auslieferung der nächsten Maschinen.

Fliegende Wechsel bis zum Start
Der Einsatz für die Servicetechniker aus Deutschland endete am 26. November, aktuell sind Jason Stombaugh und weitere Kollegen aus Charlotte gemeinsam mit John bei Smith & Nephew. Ihre Aufgabe: Installation und Inbetriebnahme von acht FZ 12 S mit Automationseinheit VariocellUno für die Fertigung der Schienbeinkopfprothesen. Danach ist wieder Deutschland an der Reihe: Ein Servicetechniker aus Tuttlingen wird mit John fünf weitere Maschinen zum Fertigen des Inlays installieren, das als Gleitlager zwischen den beiden Komponenten fungiert. Auf zwei FZ 08 W werden die Rohteile 3-achsig bearbeitet, auf drei DZ 08 W mit VariocellUno erfolgt die abschließende, hochpräzise 4-Achs-Bearbeitung der Inlays.

Aufbau einer Knieendoprothese: oben die Femurkomponente, in der Mitte das Knieinlay, unten der Schienbeinkopf (Quelle: Smith & Nephew)
Aufbau einer Knieendoprothese: oben die Femurkomponente, in der Mitte das Knieinlay, unten der Schienbeinkopf (Quelle: Smith & Nephew)

Sind alle Maschinen betriebsbereit, beginnt das deutsch-amerikanische Wechselspiel der Serviceteams von vorn. Mit Vorbereiten und Durchführen der kundenseitigen Abnahme, Integration weiterer Komponenten, Validierung und, für einen vom Start weg produktiven Betrieb Anfang 2023, Training des Bedienpersonals. Mehr dazu und zu den fertigungstechnischen Herausforderungen des Turnkey-Projekts in einer der nächsten Ausgaben des speedfactor.

Smith & Nephew
Die Erfolgsgeschichte von Smith & Nephew beginnt 1856 in Hull, England. Hier legen der Apotheker Thomas James Smith und später sein Neffe Horatio Nelson Smith mit Verbandstoffen und Pharmazeutika den Grundstein für den heutigen börsennotierten Medizintechnikkonzern mit rund 16.000 Mitarbeitern in 100 Ländern. Unter dem Motto »Life unlimited« entwickelt Smith & Nephew Technologien für die Geschäftsfelder Sportmedizin, orthopädische Rekonstruktion, Traumatologie und moderne Wundversorgung. Hauptsitz ist Watford nahe London, in Malaysia unterhält der Konzern eine Verkaufsniederlassung in Kuala Lumpur und Smith & Nephew Operations Sdn Bhd in Penang. Der neue Hightech-Standort mit 250.000 Quadratmeter Fläche für Fertigung, Technik und Logistik und 800 neuen Arbeitsplätzen bedient ab 2023 den asiatisch-pazifischen Markt mit Orthopädieprodukten und unterstützt die globalen Lieferketten.

https://www.smith-nephew.com/

Reisenotizen von Servicetechniker Marco Wagner:
Nach 23 Stunden Reisezeit landeten wir am 2. September auf dem Kuala Lumpur International Airport. Dort durchliefen wir über 10 Stationen, bis Gesundheitscheck und Einwanderungsformalitäten erledigt waren und wir nach 2 Stunden endlich im Taxi zum Quarantänehotel saßen. Hier empfingen uns am Hintereingang zwei Mitarbeiter in Vollschutzanzügen, übergaben uns ein Kuvert mit Speise- und Zimmerkarte und eskortierten uns zum Aufzug. Im Zimmer dann Auspacken, Ausruhen und: Nichts. Kein Abendessen im Restaurant, kein Bummel durch Chinatown oder ein Drink mit Blick auf die Skyline in der Helipad Bar – tagsüber Helikopterlandeplatz, abends die wohl coolste Bar der Stadt.

Stattdessen 14 Tage kein persönlicher Kontakt zu niemand, nur dreimal am Tag Tür auf, Essenstablett nehmen, Tür wieder zu. Schon seltsam. Zum Glück funktionierte das WLAN bestens, wir konnten arbeiten und dabei die spektakuläre Aussicht auf die 452 Meter hohen Petronas Twin Towers genießen. Nach Beendigung der Quarantäne hatten wir sogar unerwartet noch fünf Tage Zeit, uns die Türme und die Stadt anzuschauen – so lange dauerte es, bis wir unsere Arbeitsvisa in Händen hielten. Am 20. September konnten wir schließlich nach Penang aufbrechen.

Penang oder malaiisch Pulau Pinang ist zum einen ein Bundesstaat, zum anderen eine Insel. Der Standort von Smith & Nephew liegt am Festland, wir waren in einem Hotel auf der Insel untergebracht und überquerten jeden Tag auf der 24 Kilometer langen Sultan Abdul Halim Muadzam Shah Bridge die Seestraße von Selatan (ja, wir hatten viel Zeit, unseren Reiseführer gründlich zu studieren:))

Gleichzeitig mit uns waren drei Mitarbeiter von Haas Schleifmaschinen aus Trossingen vor Ort, mit denen haben wir uns die Kleinbusse geteilt und auch gemeinsam einiges unternommen, zum Beispiel mit Rollern die Insel erkundet. Nicht ungefährlich, mit Linksverkehr und ab und an einer Affenbande, die über die Straße rennt.

Bei Smith & Nephew wurden wir super aufgenommen und bestens betreut. Als wir unser Hotel aufgrund eines Coronafalls innerhalb von acht Stunden räumen mussten, hat man uns am Sonntag sofort ein anderes gebucht. Sam und Kumar, Einrichter und Programmierer bei Smith & Nephew, haben mich auf eine Tour durch den tropischen Regenwald mitgenommen, mit weiteren Mitarbeitern waren wir Badminton spielen. Zwei Stunden bei 30 Grad, einer Luftfeuchtigkeit wie im Dampfbad und dann noch gegen hervorragende Spieler, ziemlich kraftraubend. Aber ein kühles Bier hilft auch hier gegen Elektrolytverlust!

Unser Teilabschnitt des Projekts, die Installation und Inbetriebnahme der zwei FZ 12 S five axis, lief reibungslos und wir konnten John mit allen wichtigen Tätigkeiten vertraut machen. Damit er für künftige Aufgaben gerüstet ist, haben wir ihm unsere Werkzeuge und Messmittel als Grundausstattung übergeben.

Mein Fazit der Reise? Aus Projektsicht erfolgreich, aus persönlicher Sicht bereichernd. Klar, die Quarantäne war nicht toll, aber eben notwendig. Im Service gibt es bei jedem Projekt neue Herausforderungen. Das gehört dazu, damit muss man umgehen. Von daher: Haken dran und weiter geht‘s!