Herr Keller, Sie haben 1998 Ihre Ausbildung zum Industriemechaniker
Geräte und Feinwerktechnik abgeschlossen und leiten seit 2019 den Bereich
Technische Applikation. Zudem sind Sie seit 2017 Para Snowboarder. Gibt es
Gemeinsamkeiten zwischen dem Vorgesetzten und dem Snowboarder?
Ja, eine ganze
Menge: Es ist immer von Vorteil, einen kühlen Kopf zu bewahren – ob im beruflichen
Alltag, im Weltcup oder beim Tourengehen. Ich gehe an alles überlegt heran,
schaue mir die Fakten genau an. Ich finde, nur so kann man fundierte und
richtige Entscheidungen treffen. Alles andere wäre, ob allein im Gelände oder
als Führungskraft mit Verantwortung für mein Team, ziemlich fahrlässig.
Wie würden Sie Ihre Rolle als Führungskraft beschreiben, was ist
für Sie besonders wichtig und von wem lassen Sie sich inspirieren?
Loyalität, ein
fairer Umgang miteinander und ein ausgeprägter Teamspirit. Das hat mein
früherer Vorgesetzter jeden Tag vorgelebt, und das versuche ich fortzuführen. Zudem
sehe ich mich als »Guide«, der alles und alle in die richtige Richtung lenkt,
damit etwas Gutes dabei herauskommt. Wichtig ist mir auch, dass sich jeder mit seinen
Aufgaben identifiziert und an neue Herausforderungen positiv herangeht.
Ihr Motto ist »Die beste
Aussicht kommt nach dem härtesten Anstieg.« Können Sie das etwas ausführen?
Nun, ich hatte einen schweren Motorradunfall, ein Unterschenkel musste
amputiert werden. Der Umgang damit war und ist eine große Herausforderung,
dadurch hat sich vieles verändert. Aber ich weiß jetzt, was man erreichen kann,
wenn man seine Ziele konsequent verfolgt. Das motiviert mich auch als
Führungskraft. Ich sehe keine Schwierigkeiten, sondern neue Möglichkeiten.
Eine dieser Möglichkeiten abseits von CHIRON ist das Snowboarden
im Team Deutschland Paralympics. Welche Ziele möchten Sie sportlich erreichen?
Die Konkurrenz ist
stark, einige Länder investieren viel Geld, die Athleten sind zum großen
Teil Profis. Team D ist erst nach den letzten Paralympics
entstanden. Das Budget ist sehr klein, alle Athleten und Betreuer sind
berufstätig,
daher nehmen wir nur an einzelnen Rennen teil. Dennoch wollen wir
natürlich
vorn mitmischen, ein Platz unter den Top 10 kann es schon sein. Und
natürlich möchten
wir alle zu den Paralympics 2022 nach Peking.
Para Snowboard
Matthias Keller startet in
der Klasse Lower Limb 2 (Beeinträchtigung der unteren Extremitäten) in
zwei Disziplinen: SnowboardCross (SBX)und Banked Slalom.
Beim SBX
fährt jeder Athlet zunächst allein gegen die Zeit, ab dem Achtelfinale
geht es Mann gegen Mann. Die Strecke beinhaltet Renn- und
Freestyle-Elemente. Beim Banked Slalom fahren die Snowboarder auf bis zu
35 Prozent steilen Hängen in einem mit Steilkurven präparierten Kurs.
Alle Teilnehmer kämpfen zweimal gegen die Zeit, der schnellste Lauf
zählt.
Wie bringen Sie Training, Job und Privatleben unter einen Hut? Das
klingt echt sportlich …
Ich setze Prioritäten
und fokussiere mich aufs Wesentliche. Der berufliche Alltag ist intensiv,
sicher, aber der Sport ist für mich ein perfekter Ausgleich. Ich sehe alle
Aufgaben, die sich mir stellen, als Chance, besser zu werden.
Was treibt Sie neben der sportlichen Herangehensweise an?
Das Leben selbst
ist die größte Motivation. Es gibt so viele schöne Momente, die ich mir nach
der Amputation wieder »erarbeitet« habe. Zum Beispiel das Gefühl, auf einem
Gipfel zu stehen, unbeschreiblich! Der Weg nach oben mag hart sein, aber es
lohnt sich, immer. Jeder Tag hat das Zeug dazu, ein guter Tag zu werden. Im
Sport, privat und im Beruf.
Mehr zum deutschen
Para Snowboard Team unter:
https://www.teamdeutschland-paralympics.de/de/athleten.html
Matthias Keller im Wettkampfmodus beim Weltcup. Bild: Luc Percival Photography
Berufliche Stationen im Überblick
1998 Abschluss der Ausbildung zum Industriemechaniker bei CHIRON als Jahrgangsbester
2001 Mitarbeiter in der Fertigung
2003 Zivildienst beim DRK Rettungsdienst
2004 Anwendungstechniker in der Applikation bei CHIRON
2008 Teamleiter Applikationstechnik
2015 Leiter Applikationstechnik
2019 Leiter Applikation